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Rezension zum Gastspiel „Die Marquise von O….“ am Prinz Regent Theater in Bochum


von Greta Ahlmeyer (DE-LK von Frau Klausmeier)


Am 10.05.2019 um 11 Uhr präsentierte das Wolfgang Borchert Theater Münster im Prinz Regent Theater in Bochum eine Theater-Inszenierung adaptiert von der von Heinrich von Kleist geschriebenen Novelle „Die Marquise von O….“. Unter Regie von Tanja Weidner und mit Bühnenbild und Kostüm von Anette Wolf, erzählte die Schauspielerin Rosana Cleve die ungewöhnliche und doch berührende Geschichte der Marquise.
Papierbanden, die von der Decke hängen, fünf weiße Holzstühle und mittendrin eine Frau mit weißem Kleid. Die Frau steigt auf einen Stuhl und sprüht mit schwarzer Farbe „Die Geschichte der Marquise von O…. von Heinrich von Kleist“ an die vorderen Papierbanden an, sie zerreißt ihre Jacke und reißt die Banden herunter. Jetzt ist sie dran, ihre Geschichte zu erzählen.
Immer auf der Suche nach der Wahrheit, beginnt sie zu berichten. Von der Stürmung der Zitadelle durch die Russen und ihre Rettung durch den Graphen von F… und dann das, was sie versucht zu verdrängen. Es ist Kleists berühmter Gedankenstrich, der hier sorgfältig ausgearbeitet wurde: Im Hintergrund wispern Stimmen auf CD die wirren Gedanken der Marquise und sie öffnet ihre geschlossenen Augen und ruft: „Nichts, nichts ist passiert!“. Stattdessen wird der Marquise übel und sie bekommt vom Arzt die Diagnose Schwangerschaft. Ungläubig und doch angstvoll, wie Rosana Cleve sehr überzeugend schauspielert, berichtet sie der Mutter von den „anderen Umständen“, in denen sie sich jetzt laut des Arztes befände. Dabei ist nicht etwa eine weitere Schauspielerin auf der Bühne, es ist die ganze Zeit über ausschließlich Rosana Cleve, zwar kurzzeitig in andere Rollen schlüpfend, die Dinge jedoch immer aus der Sicht der Marquise erzählend. Ihr Dilemma von der ihr unerklärlichen Schwangerschaft und dem gesellschaftlichen und elterlichem Druck wird hier noch durch das Bühnenbild bestärkt. Die Papierbanden rechts und links haben Löcher mit den Umrissen ihrer Eltern. Wie eingekesselt also, ist die verzweifelte Marquise ganz auf sich allein gestellt.
Wenn die Marquise den Heiratsantrag des Grafen von F… erhält, der sie im Hause ihrer Eltern aufgesucht hat, helfen Rosana Cleve die weißen Stühle, den Dialog zu veranschaulichen. Dabei symbolisiert jeder Stuhl einen anderen Charakter, hinter welchen dem Charakter zugeordneten sie tritt, wenn dieser spricht. Dadurch, dass sie sich trotzdem dem Publikum zuwendet wird geschickt, ohne aber das Figuren-Verständnis zu gefährden, ein sehr direkter Bezug zum Publikum hergestellt.
Dem Befehl ihrer Eltern unterlegen, heiratet die Marquise den Grafen von F… schließlich, obwohl sie sich vor ihm ekelt. Die Marquise ist hier ganz klar in der Opfer-Rolle, wie sie auch verdeutlicht, wenn sie sich sehr übertrieben und mädchenhaft mit weißer Farbe, Lippenstift und Rouge schminkt. Sie hat die Maske einer Puppe, mit der gespielt wird, sie selbst sein darf sie nicht. Dennoch wirkt die Marquise hier stärker, emanzipierter und moderner als in der Novelle. Trotz der Beibehaltung der Original-Sprache nämlich und somit auch des eigentlich sehr ironischen Touch des Textes, wird die Ernsthaftigkeit der Situation der Marquise sehr hervorgehoben. Dies bestätigt sich auch am Ende: Obwohl der Text während der ganzen Inszenierung nur an einigen, wenigen Stellen der 1Stunde 10 langen Aufführung gekürzt wurde und die Marquise den Grafen auch wie im Original ein zweites Mal, und diesmal schon eher aus Zuneigung heiratet, fällt sie ihm am Ende nicht um den Hals, fügt sich ihrem Schicksal und wiederholt ihre anfängliche Aussage, der Graf sei ein Engel. Nein, sie antwortet gar nicht, denn SIE hat für sich selbst entschlossen, dem Grafen zu verzeihen, ihre Geschichte zu akzeptieren und sie hat sich selbst gefunden und muss sich ihm nicht mehr ergeben. Die Sprache mag zwar veraltet klingen, die Thematik ist es jedoch nicht. Die Marquise von O… ist als Akt des Feminismus, der Emanzipation inszeniert und das mit vielen symbolischen Details, die zwar theoretisch Raum zur Interpretation geben, jedoch so offensichtlich sind, dass ein Publikum jeden Alters die Intention der Regisseurin verstünde. Bereits am Anfang zeigt sich das, wenn Rosana Cleve ihre Papierjacke, die sie nur einengt, einfach zerreißt und ihre anfänglichen Schwierigkeiten, ihre Geschichte als ihre anzuerkennen, schnell ablegt. Ebenso sprüht sie das Wort „Schande“ an eine der Papierbanden, doch reißt auch diese dann ab. Denn es ist keine Schande vergewaltigt zu werden und es ist auch keine Schande nicht der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen.

Am Ende des Stückes überschreitet Rosana Cleve den mit Papier abgeklebten Teil des Bodens. Die Marquise hat ihre Geschichte erzählt, sie hat die Erlebnisse emotional aufgearbeitet und kann sie hinter sich lassen. Die Marquise von O… - die starke Geschichte einer starken Frau, stark inszeniert.


 

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